11.09.10

vogelmädchen

heute ist einer der letzten warmen tage. ein leichter wind geht, die fenster sind gekippt. ich erwarte den geruch von frischem gras, denn genauso sieht dieser tag aus. man erwartet blumen, die wachsen, wiesen, die frisch erblühen, und leichte federwölkchen, die über den himmel segeln. einer dieser tage, an denen man glaubt, fliegen zu können.

manchmal denke ich daran, wie meine flügel aussehen würden. es sind blaue federn, ein kräftigeres blau als der himmel, eine art edelsteinblau. sollten mir eines tages wirklich diese flügel wachsen, werde ich den grössten teil des tages nur fliegen. ich hoffe natürlich, dass dann auch meine freunde fliegen können. wir nisten in den kronen der höchsten bäume und lassen den lärm der welt hinter uns. und ich weiss nicht, ob wir jemals wiederkommen. wir sammeln glitzernde dinge in unseren nestern, für uns sind diamanten genauso schön wie ein stück glitzernde einwickelfolie. so weit entfernt von dieser welt sind wir schon, dass wir nur noch spielen und staunen. unsere nester sehen aus wie barocke paläste. windspiele aus klirrenden spiegelscherben säumen die höchsten äste der bäume, auf denen wir unseren tee einnehmen, jeden nachmittag um 5 uhr.

ich zeichne ein vogelmädchen auf ein stück gedankenblatt für mein geheimes tagebuch. es ist wie hingehaucht, der leiseste windhauch kann es verwehen. und es sieht aus wie ein rokoko-mädchen, trägt sogar die haare in der damaligen mode, hochgesteckt mit winzigen hineingeflochtenen silbernen glöckchen und perlen. sein gesicht ist weiss gepudert, es trägt einen schwarzen oder blauen schönheitsfleck auf der wange und kirschroten lippenstift, der nach kirschlimonade schmeckt.


dabei dachte ich, sie wären so natürlich, murmelte ich gerade vor mich hin und muss lachen. sie spielen nur und sehen jeden tag anders aus. sie spielen, was andere ernst nehmen. darum sind sie unsterblich geworden und können fliegen.