20.12.09

lilas haus

der schlüssel

das gras ist noch grün-braun, dazwischen schimmern weisse steine. wir hatten viel spass in diesem haus , schiesst ihr durch den kopf, eine wunderschöne zeit zusammen, und dann bin ich fortgezogen und hab den schlüssel im terrakotta-blumentopf vergraben, ganz unten bei den wurzeln müsste er sein.

eine hand steckt tief in der erde und berührt nur das flechtwerk von abgestorbenen wurzeln. silbergrau müssten sie sein, denkt sie, silbergrau und ein bisschen wie das spinnenmoos vom schlossgarten, ein bizarres wurzelgeflecht, bis zum boden. sie findet den schlüssel nicht! ein sonderbares gefühl in der magengrube, etwas flau, er muss doch da sein, er muss, er muss. sie gräbt ihre hand tief ins wurzelwerk und berührt etwas hartes, doch es ist nicht kalt wie metall, sondern angenehm, als würde sie eine andere hand fassen. der alte schlüssel, verborgen und umwachsen von wurzeln wie in einem versteck, einer schatzkiste. es fällt ihr schwer, der pflanze den schatz zu entreissen und sie macht es vorsichtig, ganz sachte. die wurzeln machen ihrer hand so freiwillig platz, als würden sie sie erkennen. dann liegt er endlich in ihrer hand und sie betrachtet ihn lange, bewundert sein gewicht, das gewicht von vielen jahren, mehr noch als ein schlüssel aus schmiedeeisen, ein symbol. ein zeichen, dafür, dass alles wieder ins lot gekommen ist , murmelt sie. ja, ganz einfach, dass alles wieder ganz ist und nicht kränkelt oder halbherzig ist oder kalt.

sie hat plötzlich sehnsucht nach gartenarbeit oder stundenlangem verweilen im gewächshaus, nach der zwiesprache mit pflanzen und tieren und nach besuchern, so wie früher. ganz verhindern kann sie nicht, dass ihr jetzt die tränen kommen, heiss rinnen sie über ihre wangen und machen sie blind. sie setzt sich kurz auf die stufen und legt den kopf auf ihre knie. die ganze zeit hält sie den schlüssel fest in ihrer hand. nach einiger zeit ist alles heraussen, viele tränen, die sie endlich weinen musste, und manchmal weint man, wenn man das ziel einer langen reise erreicht hat, man weint aus erschöpfung und erleichterung, denn lange reisen sind doch extrem anstrengend, für körper und geist.

nach einiger zeit steht sie auf und wendet sich der tür zu, der geschnitzten grünen tür mit den mustern von blüten und blattwerk.
es ist wirklich zeit, dass du kommst , murmelt eine stimme so leise, dass sie nicht weiss, ob sie aus ihrem inneren kommt oder aus dem blassblauen sonnigen herbsthimmel, es ist höchste zeit . sie denkt an viele bunte tage, an eine zeit, die sich endlos vor ihr ausstreckt, nach weinen ist ihr nicht mehr.
sie steckt den schlüssel ins schloss und betritt ihr haus.



heimkommen

es riecht angenehm. so angenehm, als wäre schon gelüftet worden. sie hatte angst gehabt vor dem muffigen geruch eines verlassenen hauses, doch ewas sie jetzt riecht, ist bienenwachs von möbelpolitur und frische luft. in der küche steht ein grosser blumenstrauss in einer vase. die blumen sind ganz eindeutig frisch, und das wasser, in dem sie stehen, ist glasklar.
natürlich ist es seltsam, doch an solche dinge ist sie inzwischen schon gewöhnt, von früher. damals passierten immer dinge, die sie nicht erklären konnte. die möbel glänzen wie frisch gebohnert, kein bisschen staub, kein bisschen alter, nichts davon. auch vor staub hatte sie angst gehabt. sie mag staub ja ganz gern, und spinnweben, und korrosion, aber gerade jetzt hätte es sie bekümmert. verlassene dinge mit ihrer eigenen traurigkeit, les choses inconsolables, die untröstlichen dinge. verlassene gegenstände, die allein auf der welt sind und die niemand mehr liebt, obwohl sie geliebt wurden, vor langer zeit. und an diese liebe erinnern sie sich und sie trauern, weil sie wärme suchen, die ihnen kein mensch mehr gibt. die untröstlichen, verlassenen dinge, die keine seele haben, wie menschen oberflächlich dahinsagen, und die sich aneinander klammern und dennoch keinen trost finden, nur in der menschen obhut.
sie nimmt sich vor, einige davon zu finden und sie hier zu beherbergen. vielleicht gibt es auch für verlassene dinge einen neubeginn?

in ihrem haus gibt es keine untröstlichen dinge. nur dinge, die gebraucht werden, geliebt und immer wieder verwendet, und wenn sie keinen verwendungszweck haben, dann sieht man sie einfach nur an und und nimmt ihre schönheit wahr, ihr eigenleben, wenn man in die tiefe blickt. man nimmt ihre geschichten auf, die reicher machen. immateriell steinreich sind wir hier , murmelt sie, und wie glücklich wir hier immer waren, in unserem immateriellen reichtum, wir könnten tatsächlich noch etwas davon abgeben, so viel haben wir hier, so unendlich viel. nicht nur genug zum leben, sondern mehr noch, wir haben im überfluss.

dinge, die geliebt werden. ein herz, das nicht nur schlägt, weil es muss. hände, die von gartenarbeit manchmal spröde sind. müdigkeit, die nicht von innen kommt, sondern vom arbeiten draussen im garten oder in der küche. schlaf, der tief ist und träume, die nicht zerstören. wir haben freunde hier, ja, gute freunde. wir reden und lachen und sitzen um den küchentisch und wir reisen durch zeit und raum zusammen, in unserer fantasie. wir haben geschichten. mehr als genug. und hier weint nichts verzweifelt vor sich hin und ruft im traum nach geliebten menschen und nur ein bisschen wärme, nur ein winziges bisschen. nie soll es so sein. nie, über die zeit hinaus, nie, über zeit und raum hinaus.

hier gibt es keine blinden fenster. blüten ranken herein wie ein augenzwinkern, ein lächeln, ein kinderlachen. sterne blitzen wie lichtgesang, murmelnde stimmen, vom wasser, vom fluss, den baumwipfeln her, manchmal tost und braust es, der wind, der weltengeist und wir schmiegen uns in die falten seines mantels und hören seinen gesang, der in unserem inneren widerhallt bis wir mit ihm verschmelzen, dem grossen geist aller welten, der uns lehrt, zu lieben und zu trösten, so wie er es immer getan hat und tun wird. wir sind glücklich hier im haus, denn nichts weint um uns herum. die stimmen erzählen vom glück, zu leben.

sie lässt ihren kopf auf die tischplatte sinken und schläft sofort ein. und sie träumt davon, in ihrem haus am küchentisch zu sitzen, den kopf auf die tischplatte geschmiegt, und zu schlafen.